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Rei Kawakubo
Damenkleid Comme des Garçons, Tokio, Frühling/Sommer 2012
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun

Inside Out. Einblicke in Mode

Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) zeigt Mode, die vor allem performativ und nicht immer tragbar ist.
Mit rund 55 Modellen von Designer-Ikonen wie Rei Kawakubo, Martin Margiela, Alba d’Urbano oder Iris van Herpen und Videoarbeiten lenkt die Ausstellung den Blick auf Mode, die das Innere nach aussen kehrt und Oberflächen aufbricht. 

Posted 21 November 2014

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Die Spielarten der rund 30 gezeigten Designer sind vielfältig: Die Entwürfe verfremden die menschliche Silhouette wie die 2DKleider des japanischen Avantgardelabels Comme des Garcons, die die Körperdimensionen mit scheinbar übergrossen geometrischen Kleidern sprengen. Sie benutzen ihn als Projektionsfläche wie Henry Gordon, der ein Kleid durch einen Aufdruck zum Poster Dress macht, oder täuschen das Auge des Betrachters mit Camouflage- oder Tierfellmustern.

Alba D’Urbano
Jackenkleid „Il Sarto Immortale“, Leipzig, 1999, Vorder- und Rückansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun

Rei Kawakubo
Mantel, Comme des Garçons, Tokio, Herbst/Winter 2012/13
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun

Designer wie Martin Margiela orientieren sich an Kunstströmungen wie der Arte Povera und machen die Konstruktion der Kleidungsstücke sichtbar mit nach aussen gestülpten Nähten und offenen Säumen. Andere spielen mit dem Ver-
und Enthüllen des Körpers. Ein elastische Schlauchkleid des französischen Produktdesigners Philippe Starck beispielsweise zeichnet die Körperkontur exakt nach, während die raffinierten Schnitttechniken anderer Designer dokumentieren, wie unterschiedlich man das jeweils herrschende Schönheitsideal umsetzen kann. „Inside Out“ fasst diese Positionen, die sich an sich selbst oder am menschlichen Körper „abarbeiten“, in vier Kapiteln zusammen: Simulation, Enthüllung, Verfremdung und Verformung. Historische Modelle geben ausserdem einen Einblick in die Wechselwirkungen von Innovationen, Wiederholungen und Zitaten in der Geschichte der Mode und zeigen, wie sich Designer mit Vorhandenem auseinandersetzen.

Simulation

Kleidung kann mittels Oberflächengestaltung suggerieren, zitieren oder vortäuschen, etwas anderes zu sein. Das Snake Dress der Niederländerin Iris van Herpen repräsentiert eine solche Entwicklung, die von der herrschenden Mode abweicht. Wie Tentakel, die sich um den Körper winden, quellen flexible Röhren aus dem kurzen Kleid, das schuppenartig mit transluzenten schwarzen Folienstreifen besetzt ist. Spielerisch überschreitet die gefeierte Newcomerin die
Grenzen zwischen Kleid und Skulptur, zwischen Mode, Kostüm und Objekt.

Computergestützte Bildbearbeitungs- und Druckverfahren geben textilen Flächen Anmutungen, die von der Form des Kleidungsstücks sowohl unterstützt als auch konterkariert werden können. Die Mode der Pop-Ära griff in den 1960er und 1970er Jahren die Werbeästhetik auf und machte Kleidung selbst zum Träger von Botschaften. In einen neuen Kontext oder auf ein neues Medium gesetzt, entstehen neue Zusammenhänge und Assoziationen. Der amerikanische Grafiker Harry Gordon machte beispielsweise 1968 das Fotomotiv Mystique Eye zum Poster Dress. Es lenkt den Blick des Betrachters vom Kleid weg- und hin zum Motiv des lockenden Blicks.

Harry Gordon
Poster Dress „Mystique Eye“, London, 1968
Eigentum der Stiftung f

Das Trompe-l'oeil, die Kunst der Illusion, ist ein wiederkehrendes Thema in der Konzeptmode von Maison Martin Margiela. 1996 wurden beispielsweise Kleidungsstücke mit Fotografien anderer Kleidungsstücke bedruckt. Original und
Kopie sind nicht voneinander zu trennen, weniger noch, wenn eine Neuauflage für den Modehersteller Hennes & Mauritz von 2012 dazu kommt. Die Ausstellung stellt beides nebeneinander und hält noch weitere optische Täuschungen bereit.
Im weiteren Sinn gehört zum Trompe-l’oeil auch das (Ver-)Kleiden in fremden Häuten, das seit jeher grosse Anziehungskraft ausübt. Fellimitationen und „Animal Prints“ werfen ein Schlaglicht auf diesen besonders klischeebehafteten Bereich der Mode, dessen Variationen unbegrenzt erscheinen und die seit Jahrzehnten Bestandteil nahezu jeder Saison sind. In einer kurzen Videosequenz inszeniert der niederlaÅNndische Künstler und Textildesigner Bart Hess etwa Zwitterwesen aus Mensch und Tier.

Moschino
Jackett und T-Shirt, Mailand, Herbst/Winter 2012/2013
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun

Enthüllung

Maison Martin Margiela
Abendkleider für H&M, Paris, Frühling/Sommer 1996, Vorderansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun

Während Kleider aus durchscheinenden Materialien erotisch erscheinen, kann entblösste Haut unter zerrissener oder aufgeschlitzter Kleidung eher verstörend wirken, so wie die Modelle von Bernhard Willhelm. In den seltensten Fällen wird der unmittelbare Blick auf intime Körperstellen freigegeben, vielmehr wird die Vorstellung von Blösse erzeugt. Das Spiel mit der Transparenz, das seit der Französischen Revolution periodisch wiederkehrt, illustriert eine Gruppe transparenter, überwiegend weisser Kleider. Darüber hinaus gewähren transparente Kleidungsstücke zwangsläufig Einblicke in ihre eigene Konstruktion und eignen sich daher wenig als Versteck von Pölsterchen oder für Tricks zur Optimierung von Kleid oder Figur.
 
Eine besonders innige Verbindung gehen Körper und Kleid in stark figurbetonender Garderobe ein. Die Entwicklung elastischer Fasern ermöglicht es, Kleidungsstücke auf die Haut zu modellieren, ohne auf Massanfertigungen angewiesen zu sein. Eine Gegenüberstellung von Kleidung aus den letzten fünf Jahrzehnten zeigt diese Entwicklung und den unterschiedlichen Umgang mit der jeweils herrschenden Vorstellung vom idealen Frauenkörper. Während die Stretchkleider des Designers Azzedine Alaïa den Körper trotz flexiblem Material eher modellieren, passen sich die Schlauchkleider, die Philippe Starck für die Marke Wolford kreierte, dem Körper bedingungslos an.

Verfremdung

Seit den 1980er Jahren durchbrechen avantgardistische Designer die vorherrschende Aästhetik des Neuen und Perfekten mit ihren Entwürfen. Sie folgen anderen Gestaltungsprinzipien und sind beeinflusst von Kunstströmungen und der Jugendkultur wie die Arte Povera und der Punk. Auch greifen sie zurück auf Ideen, die in Notzeiten wie jene nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen. Die aus Resten zusammengesetzten Kleidungsstücke wirken oft überraschend modisch. Ein zusammengesetzter Trenchcoat mit vier Ärmeln von Martin Margiela ist das Ergebnis dieses neuen Gestaltungsprinzips.
Als zur gleichen Zeit Nähte nach aussen gekehrt, Säume nicht mehr geschlossen und Taschenbeutel oder andere Elemente aus dem Innenleben von Kleidung zur Schau gestellt werden, wird der aus der Kunst und Philosophie entlehnte Begriff Dekonstruktion erstmals auch auf Mode angewendet. Auch die aussergewöhnlich farbstarken Modelle aus Filz von Rei Kawakubo (Comme des Garcons) unterscheiden sich diametral von den herkömmlichen Entwürfen anderer Designer.
 
Die flachen, geometrischen, übergrossen Formen, die sie für die Wintersaison 2012/2013 entwirft, scheinen vom Körper abgekoppelt zu sein und entfalten doch eine überraschende Eleganz, wenn sie getragen werden. Ins Überdimensionale aufgeblasene Punktmuster, Rosenblüten, Camouflage- oder Raubtierdrucke persiflieren gängige Stoffdessins.

Maison Martin Margiela
Abendkleider für H&M, Paris, Frühling/Sommer 1996, Vorderansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun

Verformung

Kleidung manipuliert die natürlichen Körperformen beider Geschlechter, besonders aber die der Frau. Das führt dazu, dass sie die Bewegungsfreiheit der Trägerin mitunter erheblich einschränkt. Aktuelles Modedesign greift immer wieder historische oder kulturelle Referenzen auf und verarbeitet sie zu neuen, gelegentlich extremen Formen. Historische Beispiele in der Ausstellung zeigen verschiedenen Verformungen des Körpers durch Kleidung: Die Überformung von Schulterlinie und Ärmeln bei einem Sommerkleid mit Keulenärmeln von ca. 1825, die ein Einengung von Oberkörper und Taille durch Schnürung mit einem Mieder, (18. Jh.), die Betonung des Gesässes mit Hilfe einer Tournüre (um 1880) oder die Einschnüren durch Kleider mit langen, sehr engen Röcken.
 
Themas „bis zur Bewegungsunfähigkeit schön“ ist ein Kleid aus der Sommerkollektion 2012 von Comme des Garcons.
Ein elastischer Schlauch verpackt die Trägerin nahezu vollständig und lässt nur öffnungen für Gesicht und Füsse zu, für die Hände gibt es lediglich zwei öffnungen in Hüfthöhe.
Videoarbeiten ergaÅNnzen die gezeigten Mode-Objekte. Das Video Divina und das Haut-Kleid aus dem Projekt Il sarto immortale (1999) der italienischen Künstlerin Alba D’Urbano verdeutlichen beispielsweise die Ambivalenz von Kleidung und Körper. Das Innere ist nach aussen gekehrt. Kleid und Jacke werden zum Abbild des unbekleideten Frauenkörpers und bekommen in ihrer ungeschönten Nacktheit etwas sehr Verletzliches.

Rei Kawakubo
Damenkleid Comme des Garçons, Tokio, Frühling/Sommer 2012, Vorderansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun

Designerinnen und Designer: AF Vandevorst; Azzedine Alaïa (*um 1940); AwA Belgian Design Studio; Walter van Beirendonck (*1957); Bless | Desiree Heiss (*1971), Ines Kaag (*1970); Comme des Garcons | Rei Kawakubo (*1942);
Roberta di Camerino | Giuliana Coen Camerino (1920-2010); Bart Hess (*1984); Hussein Chalayan (*1970); John Galliano | Bill Gaytten (*1960); Gianfranco Ferré (1944-2007); Iris van Herpen Haute Couture | Iris van Herpen (*1984);
JOOP! | Wolfgang Joop (*1944); Milan Knižak (*1940); Fridtjof Linde (*1977); Maison Martin Margiela | Martin Margiela (*1957); Maison Martin Margiela für Hennes & Mauritz; Alexander McQueen (1969-2010); Meadham Kirchoff |
Edward Meadham, Benjamin Kirchhoff; Moschino | Rosella Jardini (*1952); Sibilla Pavenstedt (*1965); Poster Dress 1st Edition | Harry Gordon (1930-2007); Gareth Pugh (*1981); Simone Rocha (*1986); Heinz Schulze-Varell (1907-1985);Alba D’Urbano Couture | Alba D’Urbano (*1955); Vivienne Westwood Man | Vivienne Westwood (*1941); Bernhard Willhelm (*1972); Wolford | Philippe Starck (*1949)
 
Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg dankt der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen für die herausragenden Neuerwerbungen, durch die diese Ausstellung realisiert werden konnte.

MUSEUM FüR KUNST UND GEWERBE HAMBURG
Steintorplatz
D-20099 Hamburg
+49 (0)40 428134-880
service@mkg-hamburg.de
www.mkg-hamburg.de

Snake Dress, Haute Couture, Amsterdam, 2011
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun

Snake Dress, Haute Couture, Amsterdam, 2011, detail
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun

Iris van Herpen
Snake Dress, Haute Couture, Amsterdam, 2011, Seitenansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun

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